Impressionismus

Fotografie, Inspirationen 16. Juli 2023

Flüchtige Momente festhalten, die Stimmung der jeweiligen Situation abbilden – das sind neben den gestalterischen Aspekten einige der wesentlichen Merkmale des Impressionismus. So flüchtig und alltäglich wie der Besuch einer Ausstellung, wie das Betrachten der Werke selbst?
Diese drei Frauen habe ich beim Betrachten der Werke bedeutender Maler eben jener Epoche im Museum Barberini aufgenommen. Obwohl jeweils die impressionistischen Werke im Fokus stehen, beeinflussen die drei Besucherinnen mit ihrem Auftreten, ihrer Körperhaltung und ihrer Kleidung – kurz: ihrem Habitus – die gesamte Stimmung der Aufnahmen.
Die Erste steht dem Gemälde (Isaac Israëls: »Portrait Jacqueline Sandberg«) frontal gegenüber, mit beiden Füßen fest auf dem Boden, wobei ihr floral gemusterter Rock einen ebenso starken Kontrast zum schlichten Kleid in Weiß bildet, das auf dem Werk zu sehen ist; zugleich scheinen diese Muster eine Verbindung mit der Form des Rahmens einzugehen. Die Nächste, mit leicht hängenden Schultern, liest sich – wohl um das Stück sinnvoll einordnen zu können – konzentriert den Begleittext durch. Während die Dritte mit ihrer seitlichen Silhouette – rein zufällig – eine formschöne Verlängerung des opulenten Gemälderahmens bildet und dort wie hypnotisiert verweilt, das Gezeigte in sich aufnimmt.
Impressionismus im doppelten Sinne.

Camille Pissaro: »Boulevard Montmartre, Abenddämmerung«, Museum Barbarini, © Christoph Krelle
Willem Maris: »Sommer«, Museum Barbarini, © Christoph Krelle

Voll unmenschlich

Erlebtes, Gedanken 13. Juli 2023

Ich weiß nicht, warum man das macht, sagt sie.
Sie meint die Digitalisierung.
Sie meint das Smarte Einkaufen, ohne Kassenpersonal, ohne Verkäufer – alles digital und am besten kontaktlos: Wagen nehmen, Lichtschranke passieren, Ware reinlegen, per App bezahlen, rausgehen. Fertig.
Das ist unmenschlich, findet sie. Nicht schön, kein echtes Erlebnis. 
Warum macht man das? Nur aus ökonomischen Gründen?!
Um Kosten zu sparen, ja, und ein Argument ist, dass die Menschen solche einfachen, eintönigen Arbeiten, wie Ware über einen Scanner zu ziehen und Geld zu kassieren, nicht mehr machen müssen.
Was soll das, wohin soll das führen, fragt sie. Ihr wird das Einkaufen dann keinen Spaß mehr machen, sagt sie.
Genauso wie das Autofahren keinen Spaß mehr machen wird, wenn die Autos autonom gesteuert werden. Es fährt dann ja auch niemand mehr selbst. Stattdessen könntest du Filme schauen, Karten spielen, vielleicht schlafen. 
Kurze Pause.
Im Grunde bräuchte man dann gar keine Wohnungen und Häuser mehr, sage ich. Wenn die Autos so etwas wie Raumschiffe wären, in denen du alles machen kannst, was du willst, während sie dich dorthin bringen, wo du möchtest, dann ist das ein ganz neuer Lebensmittelpunkt.
Fliegende Autos, sagt sie.
Ja, sage ich. 
Das ist eigentlich eine schöne Vorstellung, damit müsste man auch ins Weltall fliegen können.
Ja, das wäre spannend, sage ich. Das wäre cool. Aber wie lange wird es dauern, bis das einmal so sein wird?! Ob es überhaupt so kommen wird?!
Dauert noch hundert Jahre.
Diese Übergangszeit jetzt, die ist wirklich komisch. Einkaufen ohne Bargeld, ohne Personal. Voll unmenschlich.

Gedanken, Zitate 16. März 2022

„Menschen können aber nicht wissen, wie es ist, als Adler durch die Lüfte zu ziehen, als Fuchs über die Wiesen zu tollen oder als Hirsch durchs Dickicht zu streifen – wir wissen nicht einmal, jedenfalls nicht ohne letzten Zweifel, ob ein Baum durch die Augen einer Hirschkuh noch in etwa so aussieht wie durch unsere, ob dort überhaupt etwas steht, das wir als Baum bezeichnen würden oder ob es sich um ein gänzlich anderes Objekt handelt, wir nur nicht fähig sind, es zu erkennen; so wie zum Beispiel Bakterien, Viren, Milben und Pilze erst durch die Vergrößerung unter einem Mikroskop für uns sichtbar werden – und selbst dann sind es ja noch die menschlichen Augen, nicht etwa die einer Hirschkuh, die durch das Objektiv schauen.“

aus meinem Buch „Der lyrische Flaneur

Wurzelwerke

Inspirationen, Lyrik 10. März 2020

Hin und wieder schreibe ich Texte für den Grafiker Hellmut Martensen, der lange Zeit mein Kunstlehrer war. Vom 12. März bis 18. April 2020 zeigt er in seiner Ausstellung »Gewachsenes« in der Galerie Hinter dem Rathaus in Wismar verschiedene Malereien und Grafiken, die sich mit Motiven der Natur beschäftigen. Unter anderem Kaltnadeldrucke von Wurzeln, die er studierte. Für seinen Katalog zur Ausstellung habe ich einen lyrischen Kleintext verfasst, der auf die Situation der im Tiefdruck dargestellten Wurzeln Bezug nimmt:

Wurzel I, Kaltnadelradierung auf Ingres-Papier, 21 x 25 cm, © H. Martensen
Wurzel II, Radierung auf Ingres-Papier, 21 x 25 cm, © H. Martensen

Zwei Jammerlappen

Ach, ich wäre so gerne dort unten, bei dir! Weit unter der Erde, dort bräuchte ich mich nicht länger nach der Sonne zu richten, hätte keinerlei Scham mehr wegen meines Aussehens, und den gierigen Bienen, die mir bald auch noch den letzten Nektar rauben, wäre ich ebenfalls nicht mehr ausgeliefert«, klagte die hoffnungslos herabblickende Blüte. Und die Wurzel entgegnete ihr, ebenso melancholisch, fast etwas hysterisch: »Ach, was weißt du schon von hier unten! Hier ist es schrecklich finster, weshalb ich nie sehen kann, wer auf mir herumtrampelt und ich weiß auch überhaupt nicht, was eigentlich aus all dem Wasser und den vielen Nährstoffen wird, die ich hier mühsam hinaufpumpe. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wozu das alles eigentlich gut sein soll…« Ehe sie sich weiter bemitleiden konnten, setzte der Gärtner den Spaten an, schachtete die Pflanze aus und hob sie samt Wurzelwerk auf seine Schubkarre zu den anderen welken Arten. Stille.

Text: Christoph Krelle


Wurzel V, Kaltnadelradierung auf Ingres-Papier, 21 x 25 cm, © H. Martensen