„Die Leute drückten gegen die Tür“

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Kerstin Pulsack (links) mit ihren Eltern Christina und Gerd, © Christoph Krelle

Gerd Pulsack GmbH & Co. KG schließt zum Jahresende / „Porzelliner“ mit 95 Jahren Geschichte

Glas, Porzellan, Emaille- und Wirtschaftswaren“ – so hieß der kleine Fachbetrieb einmal zu seinen Glanzzeiten. Zum Jahresende gibt Familie Pulsack ihr Geschäft mit „weinendem Auge“ auf.

„Die Kunden bleiben aus. Wir haben nicht mehr den Zulauf, den wir bräuchten, um die laufenden Kosten decken zu können.“ Kerstin Pulsack sieht der Realität ins Auge und zieht ernüchtert Bilanz. „Wir sehen keine Perspektive mehr, das Geschäft aufrechtzuerhalten. Zum Jahresende wird der Laden geschlossen.“

Dieser Artikel ist im Dezember 2019 in der Lokalausgabe für den Altmarkkreis Gardelegen der Tageszeitung VOLKSSTIMME erschienen. Jetzt die gedruckte Version als PDF herunterladen

Ende der 1990er Jahre hatte sie das Unternehmen ihrer Eltern gemeinsam mit Bruder Tobias übernommen. Sie traten das Familienerbe in vierter Generation an, um das „nach der Wendezeit besonders florierende Geschäft“ fortzusetzen – und das gelang gut. Doch mit der Jahrtausendwende machte der zunehmende Strukturwandel im Einzelhandel auch vor den Stadttoren Gardelegens nicht halt. Der kleine Fachhandelsbetrieb war nicht der einzige, der durch den schnelllebigen Online-Handel, aber auch den Wettbewerb größerer Kaufhäuser unter Druck geriet.

„Vor 30 Jahren waren noch deutlich mehr Läden in der Innenstadt, mit denen wir konkurrierten“, erinnert sich Gerd Pulsack. Das breite Sortiment und die Discounter-Preise der größeren Einkaufsmärkte seien für die kleineren Fachhändler schnell zur Herausforderung geworden.

Von vorne: 1924 kam die Unternehmerfamilie in den Besitz des Grundstücks mit dem heute rund 250 Jahre alten Haus in der Rudolf-Breitscheid-Straße. Pulsacks Großvater Willi Kampe eröffnete dort zunächst ein Kolonialwarengeschäft für Lebensmittel, über die Jahre kamen Küchen- und Haushaltsartikel wie Kochtöpfe und Kannen aus Emaille hinzu, bis man das Sortiment schließlich komplett darauf umstellte.

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges vermachte Kampe das Ladengeschäft samt Haus und Grundstück seiner Tochter Christine – der Mutter von Gerd Pulsack. Um seine Mutter im Handel zu unterstützen, lernte der nach Abschluss der Bäckereilehre noch einen zweiten Beruf und wurde Handelskaufmann.

1962 dann, also kurz nach dem Mauerbau durch das SED-Regime in der DDR, übernahm Pulsack das Unternehmen und wurde Eigentümer, soweit dies im planwirtschaftlichen System denn möglich war: „Wir waren Kommissionshändler mit der Handelsorganisation (HO)“, erinnert er sich. Aus wirtschaftlichen Gründen, wie er sagt, wurde es bald jedoch klüger, sich den Konsumgenossenschaften der DDR anzugliedern. Und so kam es auch.

„Wir sind früher jedes Jahr zur Messe nach Leipzig gefahren, haben Kontakte geknüpft und Waren beschafft, deren Produkte hier noch nicht verbreitet waren.“ Sie fuhren zum Großhandel, aber auch direkt zu Porzellanmanufakturen, etwa nach Thüringen zu Graf von Henneberg in Ilmenau.

Für Pulsack und seine Frau Christina stand als „Porzelliner“, wie sie sich nennen, das Ladengeschäft immer an vorderster Stelle, es wurde so zu ihrem Lebenswerk.

Als die Pulsacks dann nach der Schneekatastrophe von 1979 das Gebäude einmal renoviert hatten, lief die Kundschaft ihnen förmlich die Tür ein, erinnern sie sich: „Da war die Schlange nach Alufolie und Einmachgläsern so lang, die Leute drückten gegen die Glastür, die Scheibe zerbrach und die Polizei musste kommen.“ Mit der Wende schließlich bauten sie das Gebäude aus, erweiterten die Ladenfläche über den Hof.

„Es ist wie eine Bürde, das Geschäft nun zu schließen. Ich habe ein weinendes Auge und großen Respekt vor dem, was meine Eltern geschaffen haben“, sagt Tochter Kerstin, die nun das letzte Weihnachtsgeschäft abwickelt. Zum Ausverkauf gewährt sie bis zur Schließung 30 bis 50 Prozent Rabatt.

„Die Zeiten ändern sich nun mal, aber das Leben geht ja weiter“, so Mutter Christina.

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