In Brunsbrüttel soll Deutschlands erstes LNG-Importterminal entstehen
Das Wirtschaftsministerium lobt das Projekt als „gewaltigen technologischen Sprung“, Umweltschützer melden Zweifel an. Die Investitionsentscheidung über das LNG-Importterminl in Brunsbrüttel fällt wohl 2018.
Dreckige Luft schadet der Wirtschaft mehr als oft vermutet wird. Rund 6,5 Millionen Menschen sollen im Jahr 2015 weltweit an den Folgen der Luftverschmutzung gestorben sein. Dies geht aus einer internationalen Studie hervor, die vor kurzem in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet erschien. Laut Studie habe die Luftverschmutzung zu einem finanziellen Schaden von 4,6 Billionen Dollar geführt, der etwa 6,2 Prozent der Weltwirtschaft ausmacht.
Dieser Artikel ist im November 2017 in DIE WIRTSCHAFT erschienen, der Wirtschaftszeitung der Lübecker Nachrichten. Jetzt die gedruckte Version als PDF herunterladen
In Europa gilt die Schifffahrt als Hauptursache für verschmutzte Luft. Nach Angaben der Naturschutzorganisation NABU sei damit zu rechnen, dass die gefährlichen Abgase von Kreuzfahrt- und Frachtschiffen bereits im Jahr 2020 die Emissionen aller anderen Quellen in der EU übertreffen könnten. Der Hintergrund: Noch immer werden die meisten Schiffe auf hoher See mit Schweröl betrieben, wodurch riesige Mengen Schwefeldioxid ausgestoßen werden. Und obwohl in Häfen und entlang einiger Küsten nur schwefelärmerer Diesel verbrannt werden darf, liegt die regionale Luftverschmutzung häufig trotzdem noch weit über den Grenzwerten.
Schon seit längerem wird daher LNG (Liquefied Natural Gas) als alternativer Treibstoff in der Schifffahrt diskutiert. Das innovative Erdgas, das auf minus 164 bis minus 161 Grad Celsius heruntergekühlt wird und so in den flüssigen Aggregatzustand wechselt, lässt sich im Vergleich zu herkömmlichen Treibstoffen nicht nur einfacher transportieren, es scheint auch umweltfreundlicher zu sein. So sollen die Partikel- und Schwefelemissionen mit LNG als Kraftstoff nahezu vollständig, die Stickstoffemissionen um 70 Prozent und die Treibhausgasemissionen um 25 Prozent gesenkt werden können.
Bislang haben hierzulande die meisten Reeder LNG als noch zu unwirtschaftlich eingeschätzt – trotz seiner enormen Vorteile, doch das könnte sich bald ändern. Denn in Brunsbüttel reifen die Pläne für ein erstes deutsches LNG-Importterminal heran, das im Zuge eines Joint Ventures von den drei Unternehmen Gasuine, Vopak und Oiltanking gebaut und betrieben werden soll. Die niederländischen Partner Gasuine und Vopak betreiben unter anderem das Gate Terminal in Rotterdam – sie haben Erfahrung mit derartigen Joint Ventures. Das Hamburger Unternehmen Oiltanking gilt als Spezialist für Tanklager; es gehört zur renommierten Gruppe der familiengeführten Marquard & Bahls AG, die im Energiesektor zuletzt einen Jahresumsatz von 11,5 Milliarden Euro erwirtschaftet hat.
Dass nun ausgerechnet in Brunsbüttel das erste deutsche LNG-Terminal entstehen soll, mag überraschen, ist aber kein Zufall. Bevor im April dieses Jahres erstmals bekannt wurde, dass das Projekt in Brunsbüttel geplant wird, haben die Beteiligten verschiedene potenzielle Standorte für ein LNG-Importterminal an der deutschen Nordseeküste analysiert. Nicht zuletzt die geographische Lage hat die Planer überzeugt.
„Brunsbüttel, am Schnittpunkt von Elbe und Nord-Ostsee-Kanal gelegen, ist ein strategisch idealer Ort für die Bebunkerung von Schiffen mit LNG als alternativer Kraftstoff“, findet Frank Schnabel, Chef der Brunsbüttel Ports GmbH, der seit Jahren für ein LNG-Terminal auf Deutschlands sechstgrößtem Seehafen wirbt. Brunsbüttel biete das größte zusammenhängende Industriegebiet in Schleswig-Holstein. Die Betriebe im ChemCoast Park beschäftigen rund 12.000 Arbeitnehmer. „Mit Konzernen wie Yara, Sasol und Covestro sind Werke angesiedelt, die einen hohen Gasbedarf haben und für die LNG eine Alternative zu Pipelinegas darstellen könnte“, so Schnabel.
Bereits heute würde der summierte Erdgasbedarf der Industrie in Brunsbüttel rund 800 Millionen Kubikmeter pro Jahr betragen. Dabei sei vorgesehen, nicht nur die ortsansässige Industrie, sondern letztlich die gesamte Bundesrepublik mit LNG zu versorgen. Nach einer Bedarfsanalyse, die das Fraunhofer Institut in Hamburg durchgeführt hat, habe der Standort Brunsbüttel sogar das Potenzial, LNG per Schiene nach Österreich, in die Schweiz und nach Zentral- und Osteuropa zu transportieren.
Zudem, merkt Schnabel an, sei Brunsbüttel auch als Regasifizierungsstandort geeignet und biete die Möglichkeit, LNG direkt in das hiesige Gaspipelinenetz einzuspeisen. Damit hätte das LNG-Importterminal auch eine wichtige politische Bedeutung. Derzeit bezieht Deutschland seine Erdgasimporte größtenteils über Pipelines aus Russland, den Niederlanden und Norwegen. Mit einem entsprechenden Terminal könnte das Erdgas über den Seeweg weltweit pipelineunabhängig bezogen werden.
Aber ist die LNG-Technologie wirklich so nachhaltig? Und kann der Standort Brunsbüttel halten, was er verspricht?
„Mehr als eine kurzfristige Übergangstechnologie kann LNG nicht sein“, sagt Tobias Langguth vom BUND-Landesverband in Kiel. Zwar ließe sich LNG im Vergleich zu herkömmlichen Kraftstoffen sauberer verbrennen, doch dessen Gewinnung falle häufig sehr umweltschädlich aus – „etwa wenn es in den USA durch Fracking gefördert oder aus Ländern mit fragwürdigen Umwelt- und Sozialstandards bezogen wird.“ Dagegen seien Konzepte mit Kombinationen aus Elektroantrieb, Segeln oder Flettner-Rotoren deutlich schonender zur Umwelt. Langfristig hält Langguth den Bau von Schiffsantrieben auf Wasserstoffbasis für sinnvoller, da sich diese aus erneuerbaren Energien herstellen ließen.
Und auch aus standortpolitischen Gründen lehnt der BUND den Bau des LNG-Terminals ab. „Unserer Einschätzung nach berücksichtigen die Planungen die EU-Wasserrahmenrichtlinie und die EU-Meeresstrategierichtlinie nicht ausreichend“, moniert Langguth. Insgesamt seien die Untersuchungen so mangelhaft, dass Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt der Elbe nicht auszuschließen wären. Darüber hinaus sei mit einer erheblichen Zusatzbelastung der Luft durch den Bau und langfristigen Betrieb des Terminals zu rechnen.
Darüber hinaus könnte es mit dem nahegelegenen Kernkraftwerk Brunsbüttel zu einem Interessenkonflikt kommen. Zwar wird dieses in der Bedarfsanalyse des Fraunhofer Instituts schon als „möglicher Standort für ein Peak-Shaving-Gaskraftwerk“ gehandelt, doch das scheint äußerst spekulativ zu sein. In einer Stellungnahme des BUND unter Berufung auf eine Richtlinie zum Schutz von Kernkraftwerken heißt es: „Erst nach Beendigung der Bereitstellung der Brennstäbe zur Endlagerung auf dem Gelände des Kernkraftwerks kann die Vielfalt des Umschlags im Vielzweckhafen auf gasförmige, flüssige, Gefahr- und Massengüter ausgeweitet werden.“ Wie der Chef des abgeschalteten Kernkraftwerks Markus Willicks zuletzt bekanntgegeben hat, gehe er davon aus, im nächsten Jahr eine Abrissgenehmigung zu erhalten. Im Jahr 2031 könnte das Kernkraftwerk dann vollständig zurückgebaut sein, doch die heiklen Zwischenlager würden bleiben – bis es ein funktionierendes Endlager in Deutschland gibt.
Ob das LNG-Projekt wirklich einen so „gewaltigen technologischen Sprung für den Industriestandort Schleswig-Holstein“ bedeuten wird, wie es Wirtschaftsminister Bernd Buchholz erhofft, bleibt erstmal abzuwarten. Die endgültige Investitionsentscheidung, die sich auf gut eine halbe Milliarde Euro belaufen soll, wird vom Joint Venture für nächstes Jahr erwartet.
Übrigens, die EU-Kommission hat Anfang 2016 ein Strategiepapier für eine flächendeckende europäische LNG-Infrastruktur entworfen. Dass es bald auch in Deutschland ein LNG-Terminal geben wird, ist praktisch sicher – die Frage ist nur, wo.