Manche Entscheider reagieren zögerlich auf den digitalen Wandel. Doch viele Trends geben schon lange den Weg vor.
Drohnen, Cloud Computing, das Internet der Dinge und künstliche Intelligenz – die Digitalisierung ergreift viele Bereiche der Wirtschaft. Manche Entwicklungen sind richtungsweisend.
Für viele Unternehmen stellt die Digitalisierung eine Herausforderung dar. Doch der Einsatz lohnt sich, konnte sich die Kapitalrendite der deutschen Unternehmen im Durchschnitt bereits in den vergangenen 15 Jahren durch den Einsatz digitaler Medien von 12 auf 30 Prozent steigern, wie die Hamburger Unternehmensberatung Roland Berger bekannt gibt. Dennoch reagieren einige Entscheider recht zögerlich auf den digitalen Wandel, manchen fehlt es gar an Orientierung.
Dieser Artikel ist im Juni 2017 in DIE WIRTSCHAFT erschienen, der Wirtschaftszeitung der Lübecker Nachrichten. Jetzt die gedruckte Version als PDF herunterladen
Diese aktuellen Trends haben das Potenzial, die Wirtschaft grundlegend zu revolutionieren:
Drohnen
Bis vor wenigen Jahren waren Drohnen nur dem Militär vorbehalten. Heute sind sie schon fast ein Massenphänomen. Ob in der Landwirtschaft, in der Logistik oder bei der Wartung größerer Flugzeuge – gesteuert mit dem Smartphone und ausgerüstet mit hochauflösenden Kameras werden Drohnen nicht nur zum Privatvergnügen, sondern längst auch in der Wirtschaft eingesetzt. Die Bedeutung dieser kleinen Fluggeräte ist erheblich.
Nicht nur, dass Drohnen in der Logistik ganze Wertschöpfungsketten auf ein neues Level heben können, indem sie Waren aus dem Hochregallager holen und direkt zum Kunden ausliefern – speziell im Agrarsektor hat die Entwicklung schon beachtliche Fortschritte gemacht: Beim sogenannten Precision Farming fliegt eine Drohne eigenständig Felder ab, um exakte topographische Karten der Bodenbeschaffenheit zu erstellen oder Rehkitze aufzuspüren. Spezielle, in die Drohne integrierte Sensoren liefern dem Landwirt ein genaues Bild über den Zustand seiner Pflanzen und Böden. So lässt sich etwa die Erntezeit besser bestimmen, aber auch die Ernteausfälle durch besondere Wetterumstände oder Schädlinge leichter nachvollziehen. Zudem werden Drohnen auch schon als Vogelscheuchen eingesetzt.
Einer der weltweit größten Anbieter für Drohnen ist der 1999 in Hongkong gegründete Yuneec-Konzern, zu dem auch die Yuneec Europe GmbH im schleswig-holsteinischen Kaltenkirchen gehört. Der im Bereich der funkferngesteuerten Modellflugzeuge marktführende Hersteller hat zunächst einige bemannte Elektroflugzeuge auf den Markt gebracht, ehe er im Jahr 2014 seine erste Drohne präsentierte. Ein Jahr später investierte der kalifornische Halbleiterhersteller Intel Corporation rund 60 Millionen Dollar in den chinesischen Hersteller. Gemeinsam wollen die beiden Unternehmen an neuen Produkten und Drohnen-Modellen arbeiten, wobei Intel sämtliche Prozessoren und Chips liefern soll.
Wie eine Sprecherin der Yuneec Europe GmbH mitteilt, geht der Konzern davon aus, dass der Drohnenmarkt sowohl im privaten als auch im kommerziellen Sektor weiter stark wachsen wird. „Das Marktpotenzial ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft“, so Ava Dühring für das chinesische Unternehmen mit Vertriebssitz in Kaltenkirchen. „In naher Zukunft wird die Drohne ein ganz normaler Alltagsgegenstand sein, den die Privatperson selbstverständlich dabei hat und den professionelle sowie kommerzielle Anwender einsetzen, um ihre Arbeit präziser und sicherer zu gestalten.“ Wie hoch der Umsatz des chinesischen Unternehmens mit den Drohnen inzwischen ist, gab sie nicht bekannt.
Laut einer Studie der amerikanischen Marktforschungsberatung Gartner Inc. soll der Verkauf von Drohnen an Privatnutzer bis 2020 weltweit auf 4,6 Milliarden Dollar ansteigen. Für die gewerbliche Nutzung soll der Drohnenmarkt dann weltweit bei einem Wert von 6,6 Milliarden Dollar stehen. Doch während das Wachstum im vergangenen Jahr laut Gartner Inc. noch bei 60 Prozent lag, soll es sich bis 2020 auf knapp 19 Prozent abschwächen. Trotzdem zählen Drohnen damit auch weiterhin zu den am meisten wachsenden Produkten der Informations- und Kommunikationselektronik.
Cloud Computing
Die allerersten Computer waren gewichtig wie Felssteine, heute dagegen schweben alle Daten auf einer schwerelosen Wolke, der sogenannten internetbasierten „Cloud“. Obwohl das danach benannte Cloud Computing manchen Umfragen zufolge schon in jedem zweiten Unternehmen genutzt werden soll, gibt es scheinbar noch immer einen großen Teil derer, die mit dem Begriff nichts anfangen können.
Das Cloud Computing ersetzt im Grunde die klassischen Anwenderdienste eines Computers durch das Internet. Sämtliche Hardware, Software und Datenspeicher, die der Anwender für seine übliche Arbeit am PC benötigt, werden ihm von einem sogenannten Cloud-Anbieter über das Internet bereitgestellt. Die eigentlichen Prozesse laufen also in den Rechenzentren des Cloud-Anbieters ab, während der Anwender seinen Computer nur noch als eine Steuerungseinheit gebraucht, von der aus er die bereitgestellten Daten und Anwendungen über das Internet oder die Cloud nutzen kann. Dadurch bleiben dem Anwender sowohl der Aufbau einer eigenen IT-Landschaft als auch deren umfangreiche Administration erspart, was ein großer Vorteil ist. Er muss keine Backups mehr erstellen, Störungen beheben oder Updates laden – der Cloud-Anbieter erledigt dies alles aus der Ferne, es gehört zum Service. Außerdem kann der Anwender alle seine Daten auf dem sogenannten Cloud Storage via Internetbrowser speichern, ortsunabhängig darauf zugreifen und auch Software online ausführen. Der Computer und alle anderen internetfähigen Geräte dienen dabei nur noch als Zugang.
Die Addix Internet Services GmbH mit Sitz in Kiel nutzt eine solche Cloud-Lösung, um sämtliche Access Points zu managen und zu überwachen, die den Zugang zum Internet im Rahmen des Projektes SH_WLAN ermöglichen sollen. „Die Datensicherung erfolgt im Addix eigenen Rechenzentrum am Standort Kiel“, so die Sprecherin der Internetagentur, Katja Schumacher. „Damit sorgt sich die Addix GmbH mit ihrer Infrastruktur von der modernen Anbindung der User an das Internet über die Absicherung von Stromschwankungen bis hin zur Sicherheit der Technik und der Cloud rund um das SH_WLAN.“
Die Kieler Internetagentur sieht in der Nutzung von Cloud Computing als einen aktuellen Trend der digitalen Transformation ein sehr großes Potenzial. „Die Tendenz der Anwender und Verbraucher zur maximalen Mobilität und Unabhängigkeit von festen Arbeitsplätzen und Vernetzung führt dazu, dass der Anspruch an Datensicherung, Notfallwiederherstellung gepaart mit Kostenreduzierung von Hard- und Software gestiegen ist“, betont Geschäftsführer Björn Schwarze. „Je nach Bedarf kann die Menge an Speicherkapazität und Verfügbarkeit mit dem Cloud Computing individuell angepasst werden, sodass die Nutzung von IT-Ressourcen und die Vernetzung von Unternehmen, Anwendern und Privatpersonen über das Internet rund um die Uhr von jedem Ort aus möglich ist und immer stärker nachgefragt wird.“
Diese Einschätzung deckt sich mit einer Untersuchung des weltweit führenden Marktforschungsunternehmens International Data Corporation aus dem amerikanischen Massachusetts. Der Markt für Cloud-Services soll sich demnach in den kommenden Jahren verdoppeln. So wurden 2015 weltweit noch rund 70 Milliarden Dollar für Public-Cloud-Services ausgegeben, schon im Jahr 2019 sollen es weit mehr als 141 Milliarden Dollar sein. Die jährliche Wachstumsrate beträgt danach 19,4 Prozent und soll sechs Mal so hoch sein wie das Wachstum für die IT-Ausgaben insgesamt. Für diese Analyse sollen die Angaben aus 20 Branchen und 54 Ländern bewertet worden sein. Und traut man dem Wort der Analystin Eileen Smith, wird es künftig „eine Explosion neuer Lösungen und die Erschaffung von Werten aufbauend auf der Cloud-Infrastruktur“ geben.
Internet der Dinge
Schon lange steht der Computer nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses, wenn es um die Zukunft der Digitalisierung geht. Auch das Smartphone und das Tablet sind nicht mehr die Endgeräte, an denen es an grundlegenden Optimierungen für ein vollständig vernetztes Leben mangelt. Wie steht es dagegen um Straßenlaternen, die nicht nur nachts den Weg leuchten, sondern auch die Schadstoffe aller vorbeifahrenden Autos messen und diese Daten online verfügbar machen? Wie wäre es mit einem Weinberg, der den aktuellen Reifegrad der Reben per E-Mail an den Winzer weiterleitet? Und was ist mit implantierten Bio-Chips, die den Inhabern ihren berechtigten Zugang in sicherheitssensible Bereiche auf Flughäfen gewähren?
Das Internet der Dinge beschreibt diesen Trend, immer mehr und vor allem unterschiedliche Geräte und Gegenstände grenzenlos mit Daten auszustatten und über das Internet kommunizieren zu lassen. Laut einer Prognose des amerikanischen IT-Konzerns Cisco, der als wegbereitend für die globale Infrastruktur des Internets gilt, werden bis zum Jahr 2020 rund 50 Milliarden Geräte über das Internet vernetzt sein.
Schon heute gibt es eine ganze Reihe solcher Geräte und Gegenstände, darunter auch vernetzte Autos und Infrastrukturen. Sie könnten die Vorboten der sogenannten Stadt der Zukunft oder auch Smart City sein, in der es, so die Hoffnung der Visionäre, dank der vollständigen Vernetzung sämtlicher Gegenstände und Prozesse eine sicherere, ökologischere Stadtumgebung geben kann, in der Verkehr problemlos fließt und Unfälle auf ein äußerstes Minimum reduziert werden.
Dass es mit einer vollständigen Vernetzung durch das Internet der Dinge tatsächlich möglich ist, menschliche Fehler zu minimieren, zeigt ein dynamisch vernetzter OP-Saal, der im Rahmen des Forschungsprojekts OR.NETe. V. entwickelt und Anfang dieses Jahres auf einer Medizintechnikmesse in Berlin vorgestellt wurde. An dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt haben sich bundesweit mehr als 45 Partner aus Industrie, Wissenschaft und Medizin beteiligt, darunter auch das Institut für Telematik der Universität zu Lübeck, das Lübecker Institut für Softwaretechnik und Programmiersprachen sowie die Klinik für Chirurgie und die IT-Abteilung des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein.
Unter anderem ist es dem Forscherteam gelungen, eine dynamische Vernetzung von einem Fußschalter mit einer Fräse vorzunehmen, die von mehreren Kontrollgeräten überwacht werden. Der Vorteil daraus: Wenn ein operierender Arzt beginnt, mit der Fräse beispielsweise durch den Schädel einen Zugang zum Innenohr zu schneiden, besteht dabei grundsätzlich das Risiko, den Gesichtsnerv zu verletzen. Mittels einer Trackingkamera und einem entsprechenden Gegenstück am Handstück der Fräse soll es möglich sein, die genaue Position der Fräsenspitze zu identifizieren und mit präoperativen Daten abzugleichen, sodass genau bekannt wird, wo der Nerv sitzt. Mehr noch: Je näher der Arzt nun, vielleicht aufgrund mangelnder Konzentration, mit der Fräse in den Risikobereich dringt, desto langsamer wird sie. Noch ehe die Fräse den Gesichtsnerv überhaupt treffen könnte, soll sie sich einfach abschalten, selbst wenn der Arzt durchgehend den Fußschalter der Fräse betätigt.
Das ist nicht nur eine enorme Leistung für die moderne Medizintechnik und die zukünftige Patientensicherheit, es ist auch eine Leistung, die gewiss noch andere Bereiche fernab der Gesundheitswirtschaft zur Nutzung der digitalen Vernetzung und des Internets der Dinge inspirieren wird.
Künstliche Intelligenz
Während sich die einen noch fragen, wie intelligent Maschinen sein könnten, sind die anderen bereits dabei, künstliche Intelligenz gezielt einzusetzen. Nach Angaben der weltweit größten Computermesse CeBIT sind in den USA schon heute Roboter damit beschäftigt, juristische Schriftsätze zu verfassen. Sie helfen Ärzten bei ihren Diagnosen und können eigenständig Behandlungspläne erstellen. Sie rekrutieren neue Mitarbeiter und betreuen deren Kinder während der Arbeitszeit.
Hierzulande scheint der Einsatz von Robotern und künstlicher Intelligenz am Arbeitsplatz noch vergleichsweise bescheiden zu sein, doch die Experten sind sich einig, dass immer mehr Berufe auf Sicht von zehn bis dreißig Jahren von Computern und Robotern übernommen werden. So könnte beispielsweise der Rezeptionist in der Hotellerie in absehbarer Zeit durch einen Roboter ersetzt werden. Auch Bankberater, die ja mancherorts schon heute ohne komplexe Anlage-Software, die auf intelligentes Verhalten programmiert ist, nicht mehr auskommen, könnten bald von künstlicher Intelligenz abgelöst werden. Allerdings, darin sind sich die meisten Experten einig, werden die Roboter noch keine Emotionen verstehen können – eine universelle Intelligenz werden sie also nicht besitzen. Daher dürfte es auch in Zukunft noch genügend Bedarf an menschlichen Arbeitskräften geben, deren Aufgabenfelder dann durch den Einsatz künstlicher Intelligenz zwar anders sein, aber nicht komplett wegfallen werden. Im Gegenteil, mit dem Einsatz von intelligenten Computern und Robotern sollen die Prozesse optimiert und zuverlässiger gestaltet werden – sie sollen den Menschen dienen und unterstützen.
Wie das konkret aussehen könnte? An Ideen dafür fehlt es nicht, viele Unternehmen und Konzerne in Deutschland sind begeistert – doch fehlt es ihnen hierzulande an Experten, die imstande sind, ihre Ideen auch erfolgreich umzusetzen. „In Deutschland fehlen unmittelbar 5000 Leute mit einer Expertise in Künstlicher Intelligenz“, sagt Wolfgang Wahlster, Chef des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken. Dringenden Bedarf hätten vor allem die Automobilbranche, aber auch Handel, Medien, Banken und Versicherungen.
Wie unterdessen bekannt wird, sollen bereits einige Großkonzerne wie Bosch, Daimler, BMW und Facebook gemeinsam mit Universitäten und Forschungseinrichtungen ein kleines „Cyber Valley“ in Baden-Württemberg gegründet haben. Dahinter soll die Hoffnung stehen, die theoretischen Erkenntnisse aus der Forschung in die praktische Anwendung zu transferieren und gleichzeitig erstklassigen Nachwuchs anzulocken.
Nachwuchs, der in Zukunft auch aus Schleswig-Holstein kommen kann. Denn seit dem Wintersemester 2016/2017 bietet die Universität zu Lübeck den ersten in Deutschland zugelassenen Bachelorstudiengang für Robotik und Autonome Systeme an. Darin lernen die Studierenden nicht nur, Verbesserungen an vorhandenen Robotern vorzunehmen, sondern auch einen eigenen Roboter zu programmieren. Der interdisziplinär angelegte Studiengang beinhaltet Kurse aus den Spezialgebieten der Neuroinformatik, medizinischen Robotik und Computer Vision. Zudem können die Studierenden eine weitere Vertiefung aus den Bereichen Parallele Systeme, Künstliche Intelligenz oder Mobile Roboter wählen. Eine aussichtsreiche Entwicklung, die auch den Unternehmen in Schleswig-Holstein noch interessante Synergien eröffnen dürfte.